Das Tolle am Journalismus sind immer wieder Themen, von denen ich überhaupt keine Ahnung habe. Sperrig, langweilig, ich stolpere durch die Recherche und dann … lerne ich richtig spannendes Zeug, verliere mich, finde den Faden – und schließlich wird ein Text daraus. Endlich fertig – schon? Es gibt doch noch so vieles, was ich fragen, wissen wollte … so ist aus dem schrulligen Thema eine Liebesgeschichte geworden.
Und so war das mit dem Artikel über das Thermalbad Salsomaggiore (‚mare‘, Heft 151, April/Mai 2022). Ich habe mich durch 10 Millionen Jahre Erdgeschichte gewühlt, ein unterirdisches Meer entdeckt und bin zwischen Fabelwesen und Tänzerinnen der Belle Epoche wieder aufgetaucht. Bevor der Text erschien, fragte der Redakteur, ob ich zum Thema noch eine persönliche Anekdote hätte. Nun ja, gerade hatte ich meinen 20. Hochzeitstag gefeiert …
Der Liebste und ich, wir schauten uns an. Ich hatte nur ein kleines Handtuch, aber einen Bikini dabei, er eine akzeptable Unterhose. Sollten wir?
Wir waren mal jung und auch ein bisschen wild, wir hatten unsere guten und nicht so guten Momente – wir haben sie alle überlebt. Ich erspare mir einen Spaziergang durch das Fotoalbum unseres gemeinsamen Lebens, nur soviel: Am oder im Wasser ging’s uns immer gut miteinander. Ob Meer-, Thermal-, oder Flusswasser, in der Saune oder Badewanne – das klärende, verbindende Element tat stets seine Wirkung.
Umso erstaunlicher eigentlich, dass wir uns für unsere Hochzeit einen ziemlich trockenen Ort aussuchten: die Toskana, ein Dorf in den Hügeln südlich von Siena. Klar, unverschämt romantisch, aber fern des Meeres und jeden Wässerchens, das uns eingeladen hätte, ein wenig darin herumzulungern. Dachten wir zumindest. Wir ahnten damals nicht, dass es überall in Italien, und vor allem in der Toskana blubbert und dampft.
Unsere Ehe hat trotz Wassermangel gehalten. Wir sind inzwischen ein bisschen weniger wild, haben mehr und weniger graue Haare, Bäuchlein und Lesebrillen, und schwupps, rundete sich im letzten Jahr der 20. Hochzeitstag.
Wir fuhren noch einmal zurück, nach Siena, in das Dorf und auf die Hügel.
Es war wie früher. Die Piazza del Campo in Siena magisch wie damals, am nächsten Tag kurvten wir in „unser“ Dorf und auf den Hügel mit dem riesigen einsamen ‚Baum der Wünsche‘, umarmten ihn, tranken Prosecco und machten uns auf den Rückweg.
Schon? Ach, lass uns noch ein wenig verweilen. Wir kurbelten auf schmalen, krisseligen Nebenstraßen zwischen geschwungenen Feldern und Weinhängen herum und gelangten in ein Wäldchen. Lauschig?
Wir waren nicht die Einzigen. Autoschlangen parkten am Rand, bunt bemalte Campingbusse, Menschen in Gummilatschen und Bademantel, mit Rastazöpfen und bunten Tüchern um die Hüften schlappten die Straße hinunter. Eine Gruppe rüstiger älterer Herren stieg von ihren Rennrädern ab – auch wir hielten an, stiegen aus. Sphärische Musik, die Waldluft müffelte nach Schwefel.


Wir folgten den anderen einen Abhang hinunter über eine alternative Freibadwiese mit Yogis und Schmuckverkäufern, unten wand sich ein Fluss durch den Wald. An seinem Ufer waren kleine Becken mit Steinen abgetrennt, in denen Jung und Alt friedlich freakig nebeneinander herumlagen. Trübes Wasser dampfte in diesen natürlichen Badewannen, gespeist von unterirdischen Quellen. Wäre gut für die Haut und sowieso für alles mögliche, versicherte einer der Radler, nun in Badehose.
Der Liebste und ich, wir schauten uns an. Ich hatte nur ein kleines Handtuch, aber einen Bikini dabei – man weiß ja nie -, er eine akzeptable Unterhose. Sollten wir? Wir sollten. Und so tunkten wir ein, in dieses wilde Thermalbad mitten im Wald. Ein bisschen schlammig und müffelig, aber dann wohlig warm und belebend. Glückliche Zufriedenheit stieg auf. 20 Jahre und irgendwie noch immer ein kleines bisschen wild.