Italien, im Juni 2011.
1. Berlusconi hat bei den Kommunalwahlen krachend verloren. Die Schuld? Schwache Kandidaten, behauptet der Premier, und tödlich wären auch Talkshows wie Annozero gewesen.
2. Der Fussballverband hat – mal wieder – einen kernigen Wettskandal: Für den gewünschten Endstand einiger Spiele der vergangenen Saison wurden Fussballer bestochen oder bekamen, wie originell (!), von Kollegen heimlich Schlafmittel verpasst. Sofern die Profis dann überhaupt noch auf den Platz fanden, daddelten sie nur noch spielverderbend herum, was nebenbei bemerkt eine hübsche Allegorie für den Zustand des italienischen Parlamentes ist. Zufällig geschah dies bei Spielen mit erstaunlich hohen Wetteinsätzen. Das fanden dann doch einige Leute merkwürdig, inzwischen werden viele Ergebnisse der Serie A und B angezweifelt, sogar die Meisterschaft des FC Milan … dem Verein, dessen Besitzer Silvio Berlusconi heißt.
3. Das Volk hat die Wahl. Vier Gesetze könnten am am 12. und 13. Juni per Referendum abgeschafft werden: Zwei Gesetze zur Privatisierung des Wassers, großzügigst erweiterte Möglichkeiten bei Gerichtsprozessen entschuldigt zu fehlen (exklusiv gestrickt für italienische Regierungsmitglieder und selbstmurmelnd auch ihren Chef) sowie Italiens Wiedereinstieg in die Atomkraft. Nach Fukoshima tönte die Regierung zunächst so vollmundig wie ignorant „Atomkraft ist die Zukunft – weltweit!“, nach internationalem Kurswechsel eiliges zurückrudern auch in Italien und ein Moratorium. Nicht, um den Wiedereinstieg doch noch zu stoppen, sondern das Referendum: In einer derartig emotional bedenklichen Stimmung (frisch nach Fukoshima) könne das Volk nicht rational entscheiden, erklärte Berlusconi. Das sah das Verfassungsgericht allerdings anders und so heißt die Parole Sonntag und Montag: „Si! Si! Si! Si!“ – Viermal weg damit.
Eigentlich hätte der Volksentscheid schon gleichzeitig mit den Kommunalwahlen stattfinden sollen: hätte den Staat etliche Millionen gespart, hätte aber viele Wähler an die Urnen gebracht. Mindestens 50 Prozent der Wahlberechtigten müssen abstimmen, damit das Ergebnis rechtskräftig ist, und die sollen erstmal mobilisiert werden an irgendeinem sonnigen Sonntag Mitte Juni. Was wird Italien tun? Berlusconi schmollt und wird nicht wählen, Staatspräsident Napolitani erklärt, er habe immer seine demokratischen Pflichten erfüllt und werde dies auch am Sonntag tun und Adriano Celenetano („Azzurro …“ – wir erinnern uns? ) ruft den Italienern mit seiner wunderbaren Reibeisenstimme unzweideutig zu: „Das Meer kann warten!“
4. Michele Santoro hat hingeschmissen. Seine Talkshow Annozero wurde am vorigen Donnerstag zum letzten Mal auf RAI2 ausgestrahlt. Das dürfte ein inneres Fest für Berlusconi gewesen sein. Alle Hebel hatte der Regierungschef in Bewegung gesetzt, doch der staatliche Sender konnte den politisch unbequemen Talkmaster und Annozero nicht einfach ausknipsen. Sensationelle Einschaltquoten und Millionen für Werbung, darauf hätte der Direktor der RAI längst schon verzichtet, wenn nur Santoro endlich die Klappe gehalten hätte. Aber seit Jahren sicherte ein Gerichtsurteil Santoro’s Sendung. Auf dieses Recht verzichtet Michele Santoro nun in einer Vereinbarung. Vermutlich wird er bei La7 eine neue Heimat finden, dem einzigen Privatsender, den Berlusconi nicht kontrolliert. Am Tag der Einigung stiegen die Aktien von La7 um 20 Prozent. Eine kritische Talkshow wie Annozero hat offensichtlich Konjunktur.
Kapitulation? „Man kann nicht andauernd widerstehen, widerstehen, widerstehen“, erklärte der Moderator in seiner letzten Sendung, die eine Einschaltquote von über 30 Prozent erreichte, „vor allem, wenn die Zeit eigentlich vorbei ist. Vorbei seit den Wahlen in Mailand, in Neapel. Dort haben die Leute aufgehört nur Zuschauer zu sein. Sie haben begonnen, wieder selbst ihren Weg zu bestimmen.“ Am Sonntag und Montag geht’s in die nächste Runde.
Und Michele Santoro? Noch hat er keinen neuen Vertrag unterschrieben. Im Gegenteil. Er hält sich die Tür zur Rückkehr ins öffentliche Fernsehen offen. Kann sich das öffentliche Fernsehen eine kritische Talkshow wie Annozero – auch ohne Beschluss eines Richters – leisten oder nicht? Sein oder nicht sein – nicht von Annozero, sondern von einem unabhängigen, öffentlichen Fernsehen in Italien – das ist tatsächlich die Frage.