Also, ich näsel ja bis heute verzückt und hartnäckig „Groon Pri Örovisioon dölla choonsoon“, anstatt „yurovischn songcontest“ zu nuscheln und das dynamische ESC kommt mir schon mal gar nicht über die Lippen. Damals, als ich mit Mama und Papa und großem Bruder vorm Fernseher sass und meine erste musikalische Sozialisation bei Graubrot und Gewürzgurken durchmachte, hieß das Ding schlicht und feierlich Grand Prix. Schon damals ging’s vor allem drum, durchzuhalten, nicht im Laufe des Abends im musikalischen Schmalztopf abzusaufen und am Ende schnarchend das Beste zu verpassen: Die Punkte! Die Punkte! Meist niederschmetternd in drei Sprachen für Dschörmeny: zero point!  oder öhn point. Ja, Kinderchen, DAS waren Zeiten.

Erinnerungen, die ich in Italien bislang nicht teilen konnte. Grand Prix? Songcontest? ESC? Das ist, als ob ich hier was von Luther erzähle und damit bestenfalls eine Erinnerung an Martin Luther King herauf beschwöre. Bestenfalls. In Italien gibt’s eben die katholische Kirche und im Februar das Schlagerfestival von San Remo, das Jahr für Jahr im Februar sechs lange Abende – und auch vorher schon – für maßlose Skandale, saftigen Klatsch und gigantische Einschaltquoten sorgt. Was in Italien kaum jemand erinnert, erinnern mag oder kollektiv verdrängt wurde: Bis vor 14 Jahren sang Italien beim Grand Prix noch mit. Und hat das Ding sogar zweimal gewonnen! Bei 37 Teilnahmen landete Italien immerhin 25 Mal auf den ersten zehn Plätzen. Von dieser Quote kann Deutschland nur träumen. Es war also ein Abschied in Ehren. Warum?

Vermutlich hat irgendwer beschlossen: Das können wir Italiener selbst besser. Wir haben es ja auch nicht nötig nach Frankreich zu fahren, um mal gut essen zu gehen. Außerdem war San Remo auch damals schon San Remo und ist bis heute San Remo –  absoluter Kult, Klassen- und Generationen übergreifend. Nicht ganz nebenbei sei erwähnt, dass das Niveau von San Remo durchaus oberhalb des Grand Prix oder ESC schwabbert. Manchmal sogar deutlich drüber. Und der diesjährige Sieger unter den Nachwuchskünstlern von San Remo, das ist ein richtig Guter. Ein echter Musiker. Für Düsseldorf.

Als Raphael Gualazzi mit seinem lässig swingenden Stück „Follia d’Amore“ in San Remo zwischen all den Schmonzetten abgeräumt hatte, wurde er gefragt, ob er denn mit diesem Stück auch beim ESC auftreten wolle? ESC? Hat ihm erstmal jemand erklärt, was das überhaupt für ein Verein ist. Aber klar, warum nicht?

Seine Freunde nennen ihn Jogi Bär, das hat der 29jährige selbst in einem Interview vollkommen arglos zu Protokoll gegeben. Irgendwas muss man ja in Interviews sagen, man will ja nicht unhöflich sein. Und nein, mit italienischer Musik ist er nicht so auf dem Laufenden, Paolo Conte, okay, aber dann eher Count Basie, Fats Waller, Curtis Mayfield. Aber könnte er bitte wieder zu seiner Arbeit zurück? An sein Klavier?

Die Italiener schicken einen freundlichen, gut erzogenen Burschen. Völlig uneitel, unauffällig, uncool. Kein Latin Lover, keine Brillantine im Haar, vermutlich nicht mal Dreitagebart – oder der vielleicht doch! Einfach einen richtig guten Musiker und Komponisten mit einer erstaunlichen Stimme – die ist echt schräg, vor allem, wenn man den Typ tatsächlich für Jogibär hält – und einem excellenten Song. Made in Italy. Erstaunlich, absolut erstaunlich. Kann so ein ragazzo den Grand Prix oder was auch immer gewinnen?

In San Remo sass Gualazzi wie ein Alien auf der Bühne und auch in Düsseldorf wird man meinen, der Typ da ist irgendwie an der falschen Haltestelle ausgestiegen. Aber er wird seine Arbeit machen. Und zwar ziemlich gut und ziemlich professionell und bei so einem ist es dann ziemlich egal, ob er 12 Punkte aus Bosnien-Herzegowina abzieht oder nicht, die hat er nicht wirklich nötig. Trotzdem, Samstag wird wieder durchgehalten …

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